So kann Physiotherapie bei Endometriose helfen
Frauen das Vertrauen in ihren eigenen Körper zurückzugeben, das ist Annikas Mission. Annika Cost ist Physiotherapeutin mit langjähriger Erfahrung im Bereich Beckenbodentherapie und Frauengesundheit sowie Gründerin von Physiotherapie für Frauen. Ihr Schwerpunkt liegt in der Behandlung von Frauen mit chronischen Beckenschmerzen, beispielsweise aufgrund von Endometriose oder Vaginismus.
Annika ist eine der wenigen deutschen Expertinnen auf dem Fachgebiet Frauengesundheit innerhalb der Physiotherapie und als Spezialistin Teil des Teams der Endo-App, bei der sie physiotherapeutischen Inhalte verantwortet. Danke Annika, dass du dir die Zeit genommen hast, unsere Fragen zu beantworten und so auch aufzeigst, wie Betroffene im Rahmen der Physiotherapie Unterstützung finden können.
Was ist Physiotherapie?
Annika: In der Physiotherapie geht es darum, vor allem Menschen mit körperlichen Einschränkungen durch Bewegung und verschiedene passive Techniken wieder zu mehr Lebensqualität zu verhelfen. Mir ist zusätzlich noch die Aufklärung der Patientinnen sehr wichtig.
Was kann Physiotherapie bei Endometriose leisten?
Annika: Das kommt in meinen Augen sehr auf die genauen Symptome und die Geschichte der Person vor mir an. Da die Endometriose ja auch immer wieder als das Chamäleon unter den Krankheiten bezeichnet wird, sind auch die Therapieansätze aus meiner Sicht sehr vielfältig. Am Anfang ist ein sehr ausführliches Gespräch wichtig, um einen guten Überblick über die verschiedenen Probleme und die bisherigen Behandlungen zu bekommen. Auch die Wünsche und Ziele der Patientin spielen natürlich eine große Rolle. Nach dem ersten Gespräch und einer guten Aufklärung, auch im Bezug auf realistische Erwartungen, folgt eine körperliche Untersuchung. Ich biete in meiner Praxis eine spezialisierte Untersuchung des Beckenbodens an. Dafür brauchen Physiotherapeutinnen eine gesonderte Weiterbildung. Dort lernen wir den Beckenboden vaginal zu ertasten und zu behandeln. Viele meiner Patientinnen kommen genau deshalb zu mir in die Praxis, beispielsweise mit dem Ziel Schmerzen beim Sex zu reduzieren oder auch an Periodenschmerzen zu arbeiten. Ein stark angespannter Beckenboden kann tatsächlich zur Intensität der Schmerzen beitragen.
Annika: Neben der internen Behandlung spielen auch verschiedene Übungen, die zu Hause durchgeführt werden können, eine Rolle. Da lege ich sehr viel Wert auf die Atmung, da sie einen großen Einfluss auf die meisten unserer Körpersysteme (Stress, Verdauung, Lymphsystem, etc.) hat. Auch mobilisierende Techniken für einzelne Verdauungsorgane wende ich gezielt an, vor allem wenn es Probleme mit der Verdauung oder starke Spannungen im Bauchraum gibt. Zusätzlich lasse ich immer wieder mein Wissen als Ernährungscoach (IHK) und als Hypnosetherapeutin mit einfließen. Ich denke hier ist es wichtig, möglichst ganzheitlich den Menschen vor mir zu behandeln und nicht nur einzelne Symptome. Die Wirkweise der Physiotherapie bei Endometriose liegt in meinen Augen vor allem darin, das autonome Nervensystem wieder in Balance zu bringen. Unser autonomes Nervensystem ist für alle Prozesse im Körper verantwortlich, an die wir nicht bewusst denken. Dazu gehören unter anderem das Atmen, der Herzschlag und Blutdruck, die Verdauung. Wenn wir unter Stress leiden, dann gerät das autonome Nervensystem aus dem Gleichgewicht, das erhöht beispielsweise den Cortisolspiegel und kann Entzündungen verstärken. Da wir in unserer aktuellen Gesellschaft unter chronischem Stress leiden und die chronischen Schmerzen ein zusätzlicher Stressfaktor sind, spielt der Ausgleich des Nervensystems immer wieder eine große Rolle in der Praxis.
Zusätzlich ist es so, dass Schmerzen erstmal als Schutzfunktion dienen. Bei chronischen Schmerzen ist diese Funktion zu sensibel eingestellt und löst Schmerzen teilweise schon bei kleinen Berührungen aus, die nicht gefährlich sind. Daher sollte aus meiner Sicht jede Therapie darauf abzielen diese Mechanismen wieder rückgängig zu machen. Natürlich ist es da nicht mit einer Sitzung oder einer Übung getan, aber ich finde es immer hilfreich die Hintergründe und Wirkweisen zu verstehen.
Wo sind die Grenzen der Physiotherapie bei Endometriose?
Annika: Die Grenzen von Physiotherapie sind ganz klar. Wir können ausschließlich Symptome beeinflussen und nicht heilen! Und selbstverständlich spricht auch nicht jede Betroffene gleichgut auf Physiotherapie an. Da spielen einfach sehr viele Faktoren eine Rolle.
Wann ist der richtige Moment für Physiotherapie bei Endometriose?
Annika: Am liebsten vor und nach einer Operation. Ich freue mich immer, wenn ich Betroffene schon vor einer OP kennenlerne, da ich dann viele hilfreiche Tipps mitgeben kann, damit die OP so erfolgreich und wenig schmerzhaft wie möglich wird. Aber auch in der Reha Phase und für einen langfristigen Therapieerfolg halte ich Physiotherapie für sehr gewinnbringend.
Welchen Effekt hat Physiotherapie direkt nach einer Operation? Kann sie den Heilungsverlauf verbessern?
Annika: Ja, eine gezielte und wohldosierte Physiotherapie kann aus meiner Erfahrung den Heilungsverlauf positiv beeinflussen. Außerdem tut es den meisten Betroffenen sehr gut eine Ansprechpartnerin zu haben mit der man alle „ist das normal, soll sich das so anfühlen“-Fragen klären kann. Häufig spielt eine große Unsicherheit in den ersten Tagen und Wochen eine große Rolle und es ist als Laie auch nicht immer leicht einzuschätzen, wie das optimale Mittelmaß an Bewegung ist.
Wie häufig sollten physiotherapeutische Übungen durchgeführt werden?
Annika: Viele meiner Übungen sollten tatsächlich täglich durchgeführt werden. Das betrifft vornehmlich Atmungs- Entspannungs- und Wahrnehmungsübungen. Andere Übungen, die eher in Richtung Sport gehen sollten natürlich nicht ganz so häufig gemacht werden.
Gibt es physiotherapeutische Übungen, die Betroffene allein, daheim üben können? Gibt es Übungen, die jedem guttun?
Annika: Die Übung, die ich tatsächlich mit all meinen Patientinnen durchführe, ist die Zwerchfellatmung. Vielen auch als Bauchatmung ein Begriff. Wichtig ist mir jedoch, dass die Atmung nicht nur in den Bauch geht, sondern auch in den Rücken und den Beckenboden. Dabei spielt auch die Wahrnehmung für die Bewegung des Beckenbodens eine große Rolle.
Was können Betroffene tun, um den Effekt der Physiotherapie zu unterstützen?
Annika: Am wichtigsten ist, dass die gemeinsam erarbeiteten Übungen und Verhaltensänderungen möglichst konsequent umgesetzt werden. Dabei ist es ganz klar, dass die Ziele kleinschrittig und realistisch sein müssen. Aber der Großteil der Arbeit muss von den Betroffenen selbst geleistet werden. Ich sehe mich eher als Begleiterin und nicht als diejenige, die die Verbesserungen erzielt. Das machen meine Patientinnen selbst.
Wird Physiotherapie bei Endometriose von den Krankenkassen bezahlt? Wenn ja, wer kann es verordnen?
Annika: Leider wird Physiotherapie bei Endometriose, laut meines aktuellen Wissens, nicht von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Bei den privaten ist das in der Regel kein Problem. Wenn es noch andere Beschwerden gibt, wie beispielsweise Rückenschmerzen kann manchmal dafür ein Rezept ausgestellt werden. Damit würde ich dann aber in jedem Fall zu einer auf Endometriose spezialisierten Therapeutin gehen.
Wenn die betroffene Person Physiotherapie selbst bezahlen muss/möchte, was kostet eine Einheit?
Annika: Das ist sehr unterschiedlich und kommt immer auf die einzelne Praxis an. Bei mir in der Praxis liegt der Stundensatz bei 120€.
Wie finden Betroffene am besten eine Physiotherapeutin, eine*n Physiotherapeut*in, die*der sich mit Endometriose auskennt?
Annika: Ich empfehle immer die Therapeutenliste der AG GGUP. Dort wird die spezialisierte Weiterbildung angeboten und es gibt eine Liste der ausgebildeten Therapeutinnen nach PLZ sortiert. Ich finde es wichtig zu schauen, dass die Therapeutin die Untersuchungsfortbildung absolviert hat. Das ergibt sich aus der Legende. Außerdem kann ein Anruf vor dem ersten Termin sinnvoll sein, um zu erfragen wie viel Erfahrung die Therapeutin mit Endometriose hat.
Wie würdest du Endometriose in einem Bild ausdrücken? Was symbolisiert für dich Endometriose?
Annika: Oh, das ist eine schwere Frage. Ich glaube da würde ich bei dem klassischen Chamäleon bleiben, einfach weil ich auch immer wieder die Vielseitigkeit der Erkrankung in der Praxis sehe.
Welchem Irrglauben begegnest du bzgl. der Endometriose immer wieder?
Annika: Dass eine hormonelle Verhütung der einzige Weg ist, Endometriose konservativ zu behandeln. Dadurch kommen viele Frauen erst nach einem jahrelangen Leidensweg zu mir und erfahren dann erst, was es alles für alternative Möglichkeiten gibt, die Symptome positiv zu beeinflussen und die Lebensqualität zu verbessern.
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