Blasenendometriose: Die häufigen Toilettengänge lösen Ängste und Schamgefühle aus

Toni (Name von Redaktion geändert) erhält ihre Diagnose Mitte Januar 2022: Blasenendometriose und Adenomyose. Der Weg zur Diagnose zieht sich über 5 Jahre. Jahre voller Schmerzen, Angst und Schamgefühle. Hinzu kommt der finanzielle Aspekt. Zusätzlich zu den sowieso schon belastenden häufigen Toilettengängen kommt, dass dafür oft Geld verlangt wird. Die psychische Belastung ist folglich extrem.

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Vielen Dank, dass du deine Geschichte mit uns teilst und so zur Aufklärung beiträgst!

Welche Erfahrungen hast du auf deinem Weg zur Diagnose gemacht?

Toni: Wenn Ärzte keine Erklärung für das Leiden der Patientinnen finden, nehmen sie gerne den leichtesten Ausweg. Das heißt statt weiter zu forschen oder über die Standardverfahren (wie das Testen auf Blasenentzündung) hinauszugehen, reden sie dir gerne ein, die Beschwerden wären psychosomatisch/eingebildet, du wärst nur zu schmerzempfindlich etc. oder sie ignorieren das Problem einfach.

Auch Freunde brauchen eine lange Zeit und auch offene Gespräche, um dein Leiden ernst zu nehmen, dir keine negativen Gefühle oder Vorwürfe entgegenzubringen und Verständnis zu zeigen.

Man muss sich gut überlegen, mit wem man unterwegs ist, Reisen oder lange Autofahrten unternimmt, und kann sich erst vollkommen wohlfühlen bei ebenfalls Betroffenen (sei es die Endo oder eine andere Blasenkrankheit). Die häufigen Toilettengänge fallen jedem auf, man muss sich immer erklären und sie lösen (auch berufsbezogene) Ängste aus.

Verständnis und Unterstützung vom Umfeld sind extrem wichtig und ausschlaggebend dafür, wie gut der Alltag gehandlet werden kann. Für gewöhnlich stellt kein Arzt oder Ärztin den Verdacht auf Endometriose, weil sie die Beschwerden nicht erkennen. Ich habe in jedem Fall mitbekommen, dass dies nur dank Betroffener geschah, welche zuhören und über die Krankheit aufklärten.

Der Weg von Beginn der Beschwerden bis zur Diagnose dauerte 5 Jahre. Sie fingen während meines Abis an. Ich wurde in der Schule mit jedem Toilettengang ausgelacht und es wurde zu einem Running Gag, den jeder bis auf mich lustig fand.

Auf der Busfahrt unserer Studienreise stieß ich ebenfalls auf keine Rücksicht. Ich hatte wegen des Drucks bereits extreme Schmerzen, konnte nicht einmal mehr normal laufen und weinte fast und der Busfahrer wollte mich (aus welchen Grund auch immer, ich denke er wollte sich nicht um die Reinigung kümmern müssen) auf Klo gehen lassen, aber ebenfalls nicht die Mühe machen eine Ausfahrt oder einen Rastplatz aufzusuchen. Es war mir extrem peinlich, dass ich daher bereits Tränen in den Augen hatte, und nicht normal wie alle beim Ausstieg laufen konnte. Ich versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, wie ich mich quälte.

Gab es Fehldiagnosen?

Toni: Die Frauenärztin nahm nicht Ernst, dass die Beschwerden mit Einnahme der Pille erst begannen (sie war bloß erstaunt, weil für gewöhnlich die Pille Schmerzen lindert. Die Blasenprobleme könnten in keinem Zusammenhang zu der Pille stehen). Als ich von den zyklusunabhängigen Beschwerden sprach, wurden diese ignoriert mit einem sehr ratlosen Blick. Da die Untersuchungen (Ultraschall, Urintest, Abstrich) nichts ergaben, wurde ich einfach an die Urologie verwiesen. Auch hier ergab keine einzige Untersuchung ein Ergebnis, bis auf die Anspannung des Beckenbodens, welcher damit erfolglos behandelt wurde. Weitere Fehldiagnosen waren unter anderem Detrusor-Sphinkter-Dyssenergie, Reizblase, Psychosomatik.

Erst nach fünf Jahren kam es dazu, dass meine Schwester mir zuhörte und fragte, ob ich schonmal an Endometriose gedacht hatte. Ich ging dem aber nicht nach, weil ich dachte, die Krankheit würde sich ja nur auf die Periode beziehen und mein Problem war ja die Blase (ich hatte bis dato nicht gemerkt, dass die Intensität der Beschwerden auch vom Zyklus beeinflusst wurden). Dass ich mich mehr darüber informierte oder ihren Verdacht ernst nahm, kam erst nachdem sie zum ca. 4. Mal nachhakte.

Du leidest unter Blasenendometriose, welche Symptome verursacht dies bei dir?

Toni:

  • Extrem häufiger Harndrang (durchschnittlich alle 20 Min., mal öfter mal seltener, auch zyklusabhängig).
  • Extrem rasant steigender Harndrang mit Schmerzen, wenn nicht entleert wird.
  • Blasenentleerungsstörungen.
  • Häufig Schmerzen beim Wasserlassen.
  • Gefühl einer Blasenentzündung (so gut wie immer).
  • Schlafstörungen (Harndrang hört beim Versuch einzuschlafen nicht auf, muss noch 2-4x gehen, Dösen statt Schlafen, wache verfrüht auf – meist zw. 5-7 Uhr).
  • immer gereizte Blase (ich differenziere mittlerweile zwischen Reiz und Druck, spüre meine Blase aber IMMER, sie fühlt sich immer unangenehm an und ist präsent, d.h. ich kann sie nicht ausblenden).
  • Phasenweise Schmerzen bei bestimmten Sexstellungen.
  • Extreme Fatigue (wobei ich vermute, dass dies noch andere Ursachen haben könnte).
  • Außerdem des Öfteren stechender Schmerz, welcher sich unabhängig von der Periode durch den ganzen Unterleib zieht wie ein Blitz, allerdings nur ca. 2 Sekunden anhält (dies könnte allerdings auch an der weiteren Endo oder der Adenomyose liegen).

Dies alles ist sowieso extrem lebenseinschränkend, ca. 1 Woche vor der Periode kann ich das Haus allerdings kaum verlassen, weil die Beschwerden sich mindestens vervierfachen (ich muss dabei teilweise jede 5 Minuten auf die Toilette und habe noch schneller und stärkere Schmerzen etc.)

Wie wurde die Blasenendometriose bis jetzt bei dir therapiert?

Toni: Bisher gar nicht. Vor meiner Diagnose wurde der angespannte Beckenboden als Ursache statt Symptom erfasst und somit wurde dieser behandelt. Mit Medikamenten (Spasmex, Mictonorm), mehrfache Physiotherapie und Botoxinjektion in den Blasenmuskel. Alles im Zeitraum von 4 bis 5 Jahren.

Wendest du nur schulmedizinische Behandlungsverfahren oder auch naturheilkundlich komplementärmedizinische Behandlungsverfahren an?

Toni: Tatsächlich kommt es mir vor, als wären die naturheilkundlichen Verfahren die einzigen, welche wirklich helfen können. Schon vor der Diagnose habe ich angefangen, jeden Abend die goldene Milch zu trinken.

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Welche Erfahrungen hast du mit unterschiedlichen Behandlungsverfahren gemacht?

Toni: Die Physiotherapie hatte zu Beginn wirklich sehr gut geholfen, da über die Zeit auch falsche Verhaltensweisen entstanden, wie bspw. das Auspressen des Urins. Mit dem Lernen und Verbessern meiner „Fehler“ konnte ich dann wieder etwas länger aushalten (d.h. um die 20 Min), aber danach verschlimmerten sich alle Beschwerden chronisch und es kamen noch so einige dazu (die Ursache wurde ja nicht bekämpft).

Wie gehst du mit der Krankheit um, hast du für dich einen besonderen Weg gefunden?

Toni: Auch wenn es sehr schwer fällt, merke ich, dass es extrem wichtig ist, die Krankheit zu akzeptieren und als Teil meines Lebens anzuerkennen. Sie wird schließlich für immer da sein und dies nicht akzeptieren zu können, hat schwere Depressionen zur Folge. Ich arbeite noch daran.

Außerdem spreche ich meine Probleme offen an, da ja jedem auffällt, dass ich so oft auf Toilette gehe. Ich will mich wenigstens nicht dafür schämen. Verständnis zu erhalten ist allgemein sehr wichtig, gerade bei Freunden. Wenn man unterwegs ist, ist man auf entsprechende Unterstützung angewiesen.

Des Weiteren kläre ich wo ich kann über die Endometriose auf und höre genau zu, wenn andere Frauen über ihre stetigen Beschwerden sprechen. Innerhalb der wenigen Monate habe ich schon mehreren Freundinnen zu ihrer (Verdachts-) Diagnose verhelfen können.

Wie beeinflusst die Krankheit dein Privatleben bzw. dein Berufsleben?

Toni: Ich spüre sehr, sehr intensive Angst, wenn es darum geht, unterwegs zu sein. Die Angst an sich ist eigentlich schon belastend genug, aber unterwegs habe ich natürlich dann auch noch die Probleme. Ich kann nicht problemlos einen ganzen Tag in einer anderen Stadt verbringen oder draußen unterwegs sein. Ich muss meine Einschränkungen immer mit einplanen. Meine Freizeit ist geplagt von ständigen Sorgen um meine Blase und der Angst vor kommenden Schmerzen etc. Auch habe ich Angst davor, dass dumme Sprüche kommen oder auch einfach nur Kommentare dazu von Außenstehenden.

Es ist außerdem extrem teuer, mittlerweile muss man ja für Toilettengänge überall Geld bezahlen, auch wenn ich so intensiv darauf angewiesen bin. Die psychische Belastung ist extrem.

Mein Berufsleben ist bisher nicht sehr lang gewesen, da ich noch jung bin, aber trotzdem hat es mich dahingehend sehr eingeschränkt und ebenfalls wieder diverse tiefgehende Ängste ausgelöst. Ich brauche sehr viel Verständnis und Rücksicht seitens der Vorgesetzten und teilweise gesonderte Regelungen. Etwa wenn die vollen Arbeitszeiten mit Pausen systemisch erfasst werden. Außerdem habe ich extreme Angst davor, in Zukunft deshalb benachteiligt, nicht übernommen oder gar gefeuert zu werden. Fakt ist, dass ich auf den Tag gesehen viel weniger arbeite als andere, da viel Zeit mit den Toilettengängen verloren geht. Der Kapitalismus setzt mich sehr viel Druck aus.

Im Büro fällt es natürlich auch jeder Person auf, wenn ich teilweise im 5-Minuten-Takt gehe. Das ist extrem unangenehm und es kommen Schamgefühle auf. Ich kann auch nicht einfach wie im Homeoffice meinen Arbeitsplatz unterstützend einrichten (d.h. Nähe der Toilette, Wärmflasche.)

Wenn ich schon nur 20 Stunden pro Woche arbeite, habe ich bereits keine Freizeit mehr, da ich außerhalb der Arbeit so gut wie nur schlafen kann und mich erholen muss.

Die Beschwerden werden auch von der Psyche beeinflusst. Wenn ich also besonders gestresst bin, hat das extreme Folgen für meinen Körper. Wenn ich beispielsweise auf der Arbeit telefonisch mit Kunden spreche und das Gespräch belastend ist, weil der Kunde laut oder unverschämt wird, dann bekomme ich Schmerzen und habe entsprechend Probleme weiter mit dem Kunden zu sprechen.

Welche Worte gegenüber Ärzten, Freunden, Familie, Fremden in Bezug auf deine Krankheit hast du bisher runtergeschluckt, anstatt sie laut auszusprechen?

Toni: Zum einen „Bitte hört auf, euch lustig darüber zu machen, dass ich so oft auf die Toilette muss“ und zum anderen, „Nehmen Sie meine Beschwerden bitte ernst“.

Den Ärzt*innen wollte ich generell einiges sagen. Wüsste aber nicht einmal, wo ich anfangen sollte.

Welchen Rat möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?

Toni: Klärt auf, wo ihr nur könnt, und hört anderen Frauen zu. Die Endometriose ist definitiv eine politische Krankheit und wir müssen gemeinsam kämpfen. Außerdem ist es extrem wichtig für das Wohlbefinden, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen, es hilft wirklich.