Medical Freezing – Erst Eizellen einfrieren, dann OP

Medical Freezing, also das Einfrieren von Eizellen vor einer keimzellschädigenden Behandlung (z. B. Chemotherapie), wird seit Jahren bereits in der Krebsheilkunde (Onkologie) angewendet. Immer öfter kommt Medical Freezing auch bei gutartigen Erkrankungen zur Anwendung, wie zum Beispiel Autoimmunerkrankungen oder auch Endometriose. Seit 2021 gibt es die Möglichkeit, dass gesetzliche Krankenkassen die Kosten übernehmen.

Frau Dr. med. Anja Mutz ist Gründerin des Kinderwunschzentrums am Potsdamer Platz in Berlin. Als Fachärztin für Gynäkologie mit der Zusatzbezeichnung gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin hat sie unsere Fragen zum Thema Medical Freezing bei Endometriose beantwortet. Sie erläutert, welche Endometriose-Patientinnen von dem Einfrieren von Eizellen profitieren können, welchen Einfluss Endometriome auf die Eizellreifung und Eizellqualität haben, wer für die Kosten des Medical Freezings aufkommt und vieles mehr. Folge Frau Dr. Anja Mutz und ihrem Team auch auf Instagram: kinderwunschberlin. Wir bedanken uns bei Gynäkologin Dr. med. Anja Mutz für die Beantwortung unseres Fragen rund um das Thema Medical Freezing bei Endometriose.

Für welche Patientinnen eignet sich das Einfrieren von Eizellen in Form des Medical Freezings?

Dr. med. Anja Mutz: Das Medical Freezing ist eine etablierte Methode im Rahmen der Fertilitätsprotektion bei onkologischen Erkrankungen. Die Eizellen werden vor Beginn der Chemo- oder Strahlenbehandlung entnommen und eingefroren und somit vor der zellschädigenden Wirkung dieser Behandlungen geschützt. Zunehmend kommt das Medical Freezing auch bei gutartigen Erkrankungen zur Anwendung. Dazu zählen zum Beispiel Autoimmunerkrankungen oder auch die Endometriose. Derzeit beträgt der Anteil der nicht onkologischen Erkrankungen beim Medical Freezing ca. 7 Prozent.

Wieso sollte bei Endometriose-Patientinnen das Einfrieren von Eizellen erwogen werden? Und wann sollte die Behandlung stattfinden?

Dr. med. Anja Mutz: Endometriose ist eine chronische Erkrankung, deren individueller Verlauf nicht vorhersehbar ist. Es ist davon auszugehen, dass 30-50% der von Endometriose betroffenen Frauen, eine reduzierte Fruchtbarkeit haben. Neben funktionellen/anatomischen und hormonellen Funktionseinschränkungen, steht vor allem die Reduktion der ovariellen Reserve, das heißt, der Verlust von Eizellen, im Vordergrund. Verursacht wir das vor allem durch:

  1. Große Endometriome (sog. Schokoladenzysten) reduzieren die Eizellreserve durch Druck auf das gesunde Eierstockgewebe, das dadurch zugrunde geht.
  2. Operationen am Eierstock führen unvermeidbar zum Verlust gesunden Eierstockgewebes.

Ich halte es für sehr wichtig, Frauen schon bei der Diagnosenstellung darüber aufzuklären, dass Endometriome per se, aber auch deren operative Entfernung, einen nachteiligen Einfluss auf die Eizellreserve und auf die spätere Fruchtbarkeit haben können. Ein besonderes Risiko stellen dabei beidseitige Endometriome und wiederholte Operationen dar.

Das bedeutet, Frauen mit Endometriomen und geplanten Operationen am Eierstock können durch das Einfrieren ihrer Eizellen profitieren. Eine spanische Studie konnte zeigen, dass Frauen unter 35 Jahren, die zuvor NICHT am Eierstock operiert wurden, mehr Eizellen, mehr reife Eizellen und insgesamt eine höhere Schwangerschaftsrate hatten, verglichen mit Frauen, deren Eizellen erst nach der Operation eingefrorenen wurden.

Das heißt: Erst Eizellen einfrieren, dann OP.

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Beeinflussen Endometriome die Eizellreifung und die Eizellqualität?

Dr. med. Anja Mutz: Die Auswirkungen der Endometriome hängt vor allem von deren Größe ab. Bei Patientinnen mit IVF Behandlungen zeigt sich, dass Endometriome mit einem Durchmesser unter 2-3 cm keinen nachteiligen Einfluss haben. Bei großen Endometriomen über 5 cm produziert der betroffene Eierstock weniger Eibläschen (Follikel), weniger Eizellen und weniger reife Eizellen.

Die Schwangerschaftsrate/ Abortrate und Lebendgeburtenrate nach IVF Behandlung wird aber insgesamt durch Endometriome per se nicht nachteilig beeinflusst.

Gibt es Kontraindikationen für die notwendige Stimulation?

Dr. med. Anja Mutz: Grundsätzlich gilt es festzuhalten, dass nicht jede Frau mit Endometriose per se vom Medical Freezing profitiert.

Ich empfehle es vor allem Frauen mit großen oder beidseitigen Endometriomen und Frauen vor einer OP oder Re-OP am Eierstock.

Das Alter ist grundsätzlich bei allen Entscheidungen rund um das Thema Kinderwunsch der entscheidende Faktor. Bei Frauen, die zum Zeitpunkt des Einfrierens der Eizellen über 35 Jahren sind und eine geringe Eizellreserve haben, ist die Prognose für eine spätere erfolgreiche Kinderwunschbehandlung deutlich geringer. Das sollte in die individuelle Entscheidungsfindung einfließen.

Gibt es Endometriose-Patientinnen, denen von Medical Freezing abgeraten werden müsste?

Dr. med. Anja Mutz: Gründe, vom Medical Freezing abzuraten, können große Endometriome und anatomische Veränderungen infolge von Verwachsungen sein. Die Entnahme der Eizellen ist erschwert oder unmöglich und das Risiko für Komplikationen erhöht.

Wer veranlasst das Medical Freezing? An wen können sich Betroffene für Informationen wenden?

Dr. med. Anja Mutz: Da das Vorgehen noch recht neu ist, rate ich den Betroffenen, sich über ihre Frauenärztin direkt an ein Kinderwunschzentrum zu wenden und sich beraten zu lassen. Eine frühzeitige kompetente Beratung ist die beste Grundlage für eine aufgeklärte Entscheidung. Optimal ist es, wenn die Fachdisziplinen, d.h. die GynäkologInnen in Klinik, Kinderwunschzentrum und in der Niederlassung untereinander in engem Kontakt stehen. Wir haben zum Beispiel eine Kooperation mit dem Endometriosezentrum der Charité und weiteren Berliner Kliniken.

Wer übernimmt die Kosten hierfür? Muss die Krankenkasse die Behandlung genehmigen?

Dr. med. Anja Mutz: Seit 2021 gibt es die Möglichkeit, dass die gesetzlichen Krankenkassen bei Frauen vor einer keimzellschädigenden Behandlung, die Kosten übernehmen. Im Fokus stehen dabei die onkologischen Behandlungen, dennoch stellen wir zunehmend auch Anträge für Frauen mit Endometriose.

Aussicht auf Erfolg haben dabei vor allem Frauen mit Endometriomen vor einer geplanten Operation – da es sich in dieser Situation auch eindeutig um einen keimzelleschädigenden Eingriff handelt.

Anmerkung One in Ten: Die Adenomyose ist hier ausgenommen, da es sich bei den (operativen) Behandlungsverfahren der Adenomyose nicht um keimzellenschädigende Eingriffe handelt. Anders liegt der Fall, wenn neben der Adenomoyse auch eine Endometriose vorliegt. Adenomyose kann allerdings unabhängig von einer Endometriose vorkommen. Andersherum liegt eine Endometriose häufig mit einer Adenomyose kombiniert vor. Siehe unser Interview mit dem operativen Gynäkologen Dr. med. Bitto.